Unabhängiger werden von Schnittmustern Teil 1 – Grundschnitte

Grundschnitt
    

Was ist das?

Einen passenden Grundschnitt zu besitzen ist für die Hobbyschneiderinnen häufig ein heißer Wunsch. Besonders dann, wenn sie keine Norm-Figur haben und bei vorgefertigten Schnittmustern viel anpassen müssen.

Der Ur-Grundschnitt ist die zweidimensionale Abbildung des eigentlich dreidimensionalen Körpers. Wenn er auf Stoff übertragen wird, dann passt er exact ohne weitere Anpassungen. Allerdings ist er nicht tragbar. In ihm kann sich nicht bewegt werden. Sowohl im englischen als auch im deutschen gibt es keinen extra Begriff für so eine Moulage – weshalb wir hier auf das französische Wort ausweichen. Ein alter Ausdruck aus dem Schneidergewerbe ist Futtertaille.

Für ein einigermaßen bequemes Kleidungsstück wird Zugabe erforderlich; einige Zentimeter Stoff an unterschiedlichen Stellen, die die Bewegung des Körpers erlauben. Der Fachausdruck dieses ‚Mehr‘ ist  Bewegungszugabe (englisch: functional ease). Leicht vorstellbar ist das, wenn man sich vor Augen führt, dass der Bauchumfang beim Sitzen wächst und dass mehr Stoff unter der Achsel benötigt wird, wenn man den Arm über den Kopf heben will. Eine Moulage plus Bewegungszugabe ist dann der eigentliche Grundschnitt (englisch: sloper, basic block) der als Basis für viele verschiedene Modellschnitte dient.

Allein durch die  Verlegung der Abnäher lassen sich die unterschiedlichsten Designs gestalten. Häufig wird zu gestalterischen Zwecken aber auch Stoff hinzugefügt. Hier kommt also eine weitere Zugabe ins Spiel: Die Designzugabe (englisch: design ease). Aus dem engen Rockgrundschnitt wird durch Zugabe von etwas mehr Stoff ein A-Linien Rock oder durch Zugabe von ganz viel Stoff ein Tellerrock. Der Modellschnitt ist entstanden. Einen schönen Überblick über diese Zugaben und ihre Funktion findet ihr hier bei ‚Professor Nadelkissen‘.

Wie kommt man zu einem Grundschnitt?

Wir kennen grundsätzlich zwei Wege für die systematische Erstellung eines Grundschnittes: Das Modellieren (draping) oder die Schnittkonstruktion n. Maß auf dem Papier (pattern making).
Beide Techniken greifen in der Praxis allerdings ineinander. Wer einen Schnitt am Körper modelliert (absteckt) wird ihn anschließend auf Papier übertragen wollen, und umgekehrt wird ein auf der Fläche  entworfener Schnitt immer noch durch Abstecken am Körper angepasst werden müssen.

Das Draping wollen wir in unserem Thema ‚Unabhängiger werden von Schnittmustern‘ nicht eingehender behandeln. An dieser Stelle dennoch ein Beispiel-Link zur Veranschaulichung:

university of fashion-draping

Für die Schnittkonstruktion nach Maß gibt es weltweit sehr viele verschiedene Lehrsysteme.

  • Wer gerne aus Büchern lernt und die Deutsche Sprache bevorzugt, dem empfehlen wir:

Hofenbitzer, Bekleidung Schnittkonstruktion für Damenmode
Gilewska, Schnittkonstruktion in der Mode

  • Online gibt es bislang keine deutschsprachigen Kurse. Aber die englischsprachigen
    Craftsy Kurse sind auch bei mittleren Sprachkenntnissen sehr zu empfehlen, so wie beispielsweise das Angebot von

Suzy Furrer

    • Und man kann sich helfen lassen! So kann man sich beispielsweise in einem Schneideratelier einen Grundschnitt erstellen lassen. Das Atelier ist dann oft auch behilflich bei der Anpassung. Ein großer Vorteil!
    • Eine weitere Möglichkeit sind Konfektions-Grundschnitte von Schnittmusterfirmen: So bieten beispielsweise Vogue  Pattern, Butterick und McCalls Basis-Grundschnitte (Fitting  Shell  pattern) an,  und leiten dazu an, diese indivuduell anzupassen.
    Keinen passablen Grundschnitt bekommt man in der Regel bei diesen Onlineschnittmanufakturen. Das Internet ist voll von unzufriedenen Kundinnen. Je weniger persönliche Messdaten als Grundlage für den Schnitt benötigt werden, umso mehr orientiert sich die Software an üblichen Durchschnitten, und umso unbefriedigender das Ergebnis für die individuelle Figur.
            In diesem Zusammenhang sei aber noch das Angebot des Pattern Maker Programms erwähnt. Pattern Maker ist eigentlich eine Schnittmustersoftware für kleine und mittlere Hersteller Firmen. Mir ihr kann sich aber auch die Hobbyschneiderin kostenlos (!) einen persönlichen Grundschnitt nach Maß erstellen lassen.

Patternmaker amerikanische Seite

Patternmade4you europäische Seite

Geht es auch einfacher?
  • Wenn man sich schon mal ein engeres Kleid genäht hat (wenig Bewegungszugabe!) dann hat man einen ‚versteckten‘ Grundschnitt. Um auf den klassischen Grundschnitt zurückzuführen, braucht es dann oft nur noch wenig; das Anzeichnen des engeren Halslochs, oder die Verkleinerung des erweiterten Armlochs z.B..
  • Und wer einen gut sitzenden Bleistiftrockschnitt hat, der hat die perfekte Basis um daraus viele Rockformen zu entwickeln.
  • Für einen Hosengrundschnitt empfiehlt es sich eine vorhandene gut sitzende Hose auseinander zu schneiden um den Schnitt abzunehmen. Hier spart man sich alle Arbeitsschritte der Konstruktion und hat die erste Anprobe sozusagen auch schon fertig.

Gekaufte Schnittmuster und der persönliche Grundschnitt. Was ist damit?

Alle Schnittmusterfirmen haben als Grundlage für ihre Schnitte eine Musterfigur mit festgelegten Körpermassen, Längenmaßen und Umfängen und einer definierten BH Körbchengröße. Die Maße für jede Kleidungsgröße findet man in den jeweiligen Maßtabellen. Die befinden sich in der Regel auf den Internetseiten und häufig auch noch mal auf den Schnittmusterunterlagen aus Papier. Die Maße in den Tabellen entsprechen den Modellmaßen ohne Zugaben. Die drei großen amerikanischen Schnittmusterverlage und manche der Kleinen vermerken auf den Schnittmustern dann noch die tatsächlichen Maße (incl. Bewegungs- und Designzugaben). Das ist ein hilfreicher Service. Aber immer wieder auch die Ursache für Ärger, wenn die Designerzugabe z.B. nicht den Vorstellungen der Kundin entspricht oder das Modell (Zeichnung oder Photo) in die Irre führt. die drei großen amerikanischen Schnittmusterfirmen und Burda unterscheiden sich in ihren Maßtabellen nicht sehr.

Ganz anders ist das bei den unabhängigen kleinen Schnittmusterverlagen. Die finden ihre Nischen genau in dieser Abgrenzung. Da gibt es Schnittmuster für typische Birnenformen oder solche für Frauen mit größeren Brüsten als einem B-Körbchen.

Ein Grundschnitt? Mehrere Grundschnitte???

Schon weit kommt man mit drei Grundschnitten: Einem Oberteilgrundschnitt mit passendem Ärmel, einem Rockgrundschnitt und einem Hosengrundschnitt. Oberteil- und Rockgrundschnitt zusammengefügt ergeben ein Kleid. Sinnvoll ist es auch, diese Grundschnitte nicht nur für Webstoff, sondern ebenfalls für Jersey bzw. Stretch anzupassen. Notwendig ist das denn Strick- und Webstoffe haben unterschiedlichen Eigenschaften. Für Strickstoffe wird in der Regel viel weniger Bewegungszugabe benötigt und manche Abnäher sind überflüssig denn der Stoff passt sich dem Körper besser an.

Gute Grundschnitte sind allerdings noch keine Garantie für den perfekten Sitz. Jeder Stoff verhält sich anders. Alle Stoffe sind mehr oder weniger flexibel in der Fläche. Das hängt mit den verwendeten Fasern und der Web- bzw. Wirkart zusammen.

Immer wird es eine Feinanpassung bei der Anprobe des fast fertigen Kleidungstücks geben müssen.

Und wie geht es weiter?

Wir, Mema und Immi haben beide in den letzten Jahren Grundschnitte konstruiert und daraus Kleidungsstücke entwickelt. Und wir haben die Grundschnitte auch als Referenzobjekte für die Anpassung beim Nähen nach kommerziellen Schnittmustern genützt. Ein gut sitzender Ärmel und das dazu passende Armloch z.B. können gegebenenfalls einfach übertragen werden.

In den nächsten Monaten wollen wir zeigen wie wir das gemacht haben. Und wir hoffen auf eure Beteiligung damit wir uns austauschen können.

Wie sind eure Erfahrungen? Habt ihr einen Grundschnitt für euch aufgestellt und damit gearbeitet? Nützt ihr passende Schnittmuster oder Teile davon um Schnitte anzupassen? Wir sind sehr gespannt auf eure Beiträge!

Bitte gebt uns per Kommentarfunktion kurz Bescheid wenn ihr etwas zum Thema gebloggt habt. Immi und ich werden alle Links sammeln und hier listen.

 Blogposts zu Grundschnitten:

19 Gedanken zu „Unabhängiger werden von Schnittmustern Teil 1 – Grundschnitte

  1. Ines

    Hallo Mema, ihr habt alles sehr gut beschrieben. Ich tue mich sehr schwer dabei, meinen Oberteilgrundschnitt in einen Schnitt für ein Kleidungsstück zu verwandeln. Hast du ein paar Hinweise für mich, wie ich da am besten herangehe? Würde mich über eine kurze Rückmeldung freuen. LG

    Antworten
  2. Pingback: Podcast Nr. 14 zum Thema Grundschnitt mit Immi Mayer und Mema – Nahtzugabe5cm.de

  3. Pingback: Der Workshop Schnittkonstruktion im Rahmen der Ausstellung “Uli Richter Revisited” – Twill & Heftstich

  4. Pingback: MMM – Bequemes Jerseykleid | mema

  5. Pingback: Herausforderungen – FASHION for DESIGNERS – blog

  6. Mema Beitragsautor

    Ich habe das auch gemerkt. Meine zwei Kurse in Grundschnitterstellung mussten nachgearbeitet werden. Ich habein alle Schritte noch mal und noch mal nachgemacht. Die Herangehensweise war mir so fremd, so ungeübt, das es mir zunächst schwer fiel. Danke für deinen Link. Ich werde deinen Beitrag oben in die Liste setzen. Gruß Mema

    Antworten
  7. Anja

    Hallo,

    bei unserer VHS in Ffm. hat eine Schneiderin Kurse zur Grundschnitterstellung angeboten (leider gibt es die Kurse nicht mehr), genau mit Ober-, Unter-, Hosen- und Ärmelteil komme ich prima aus. Sie hat uns Abwandlungen erklärt (Raglan, Ärmel, Kragen, Jacken …. aber das überstieg teilweise meine näherischen Fähigkeiten), war alles sehr dicht und sehr gut. Wahnsinn waren die Unterschiede in den fertigen Teilen bei in etwa gleicher Konfektionsgröße: vor allem die verschiedenen Ärmellochvarianten bei den 8 Teilnehmerinnen habe ich noch gut in Erinnerung, obwohl der Kurs schon viele Jahre zurück liegt.

    In meinem blog habe ich den einfachen Grundschnitt für Röcke erklärt http://nordendstueck.blogspot.de/2011/09/grundschnitt-fur-einen-rock-nach-ma.html

    Die anderen Grundschnitteile kann ich selbst nicht mehr nachvollziehen, bei Größenveränderungen wäre ich also aufgeschmitten. Ich lege sie aber IMMER auf Zeitschriftenschnitte, damit die passen.

    LG Anja

    Antworten
  8. Siebensachen

    Ich würde zu diesem Thema gern mein gesammeltes Zeitschriften-Wissen beisteuern. Ich habe ein paar Jahrgänge „Damen Rundschau“ aus dem Verlag Müller & Sohn zuhause. Darin gibt es zahlreiche Artikel zum Thema Gradieren, Gundschnitt abwandeln und auch Drapieren. Ich könnte euch mal ein paar Ausgaben schicken. Euer Schnittkonstruktion-Wissen scheint deutlich weiter entwickelt zu sein als meins, deshalb denke ich, könnt ihr mehr damit anfangen. Vielleicht könnt ihr das ja für uns Neulinge aufbereiten und in eure geplanten Blogbeiträge einfließen lassen.
    LG
    Siebensachen

    Antworten
  9. .meike

    Was ihr beide da auf die Beine stellt, finde ich ganz großartig und ich möchte sehr gerne auch etwas dazu beitragen. Ich sage bescheid, wenn ich dazu was gebloggt habe. Sehr sehr spannend das Thema! Danke, dass ihr das in die Hand nehmt und die Informationen zusammentragt und aufbereitet. Vielen Dank!

    Antworten
  10. Stefanie

    Ich freue mich schon sehr auf diese Blog-Reihe. Ich habe bisher einmal einen Oberteil-Grundschnitt nach Gilewska erstellt und dann einen Schnitt mit seiner Hilfe angepasst. Bei Burda und Ottobre kann ich mich nicht auf die Masze (sorry, ich schreibe von einer französischen Tastatur) verlassen und müsste mit einem Grundschnitt vergleichen. Meistens fahre ich aber mit einer Nummer kleiner sehr gut. Mein Interesse liegt bei der Entwicklung eines Hosen-Grundschnittes für enge Jeans, da ich keine perfekt passende Hose zum zerschneiden habe. Ich werde mir also mit Hilfe von Hofenbitzer einige fertige Schnitt von unterschiedlichen Firmen vornehmen um am Ende hoffentlich einen passenden Jeans-Schnitt und einen für lockerer sitzende Hosen zu haben. Bei Immi habe ich schon viel über Hosen gelesen, gesammelte Erfahrung, auf die ich dann gerne zurückgreifen werde.
    Viele Grüsse, Stefanie

    Antworten
    1. Mema Beitragsautor

      Ja, Immi ist die Hosenmeisterin. Ich hoffe sie wird einen Beitrag dazu schreiben. Ich bin inzwischen mit meinen Hosenschnitten sehr zufrieden aber es hat wirklich intensiver Arbeit bedurft.
      Gruß Mema

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    2. Immi Meyer

      Hallo Stefanie,
      viele haben hier zum Thema schon geschrieben, dass sie sich einen guten Hosengrundschnitt wünschen. Damit haben wir so gar nicht gerechnet. Hosen sind ja wirklich schwer und wir haben dafür auch kein Patentrezept, gucken aber gern bei dir über die Schulter wenn du darüber berichten möchtest.
      Viel Erfolg bei dem Vorhaben wünschen wir auf jeden Fall!

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  11. Julia

    Ich finde eure Blogreihe sehr gut. Ich habe mich bisher nicht besonders mit dem Thema beschäftigt, außer dass ich etwas in den Hofenbitzer rein gelesen habe. Mich reizt das Thema sehr, doch bisher gab es recht viele Schnitte, die mir gut passten und damit hatte ich keinen besonders großen Leidensdruck, der mich angspornt hätte, mich intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen. Momentan muss ich allerdings feststellen, dass es gerade bei den Zeitschriften oft so ist, dass in meiner Größe keine Schnitte mehr drin sind. Ich lese bei euch aufmerksam mit und vielleicht packt es mich eher als ich dachte.
    Viele Grüße
    Julia

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    1. Mema Beitragsautor

      Ich hoffe es packt dich noch. Hofenbitzer fand ich als Anfangsbuch schwere Kost und erst wärend meines ersten Kurses in Grundschnitte erstellen habe ich einen tieferen zugang gefunden.
      Gruß Mema

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